Es war ziemlich viel Arbeit, zwar nicht besonders fordernd, aber im Umfang langwierig.
Es ist ja kein wirkliches Problem die Summe aller Kräfte
zu bilden und daraus dann Rückschlüsse für die Technik des Bogenschießens zu ziehen.
Ich habe ein Modell erstellt, mit dem ich
das tatsächliche Kinegramm eines Schützen verarbeiten kann.
Die ausführliche Beschreibung des Modells findet sich hier.
Bei dieser Untersuchung (ich habe 5 Bogenschützen vermessen) fiel mir auf, dass es nicht allen möglich sein wird, die Schulterlinie und den Bogenarm in
eine Linie zu bringen und dann mit dem Zielauge das Ziel und das Visierkorn zu sehen. Mit einer einfache Abschätzung
(durch einen extrem einfachen Versuch zu verifizieren) kommt man auf einen Winkel zwischen dem ausgestrecktem Bogenarm und
der Schulterlinie, der ≥ 10° sein wird. Da der senkrechte Abstand des Anschlagpunktes von der Schulterlinie auch nur in extrem engen Grenzen variierbar ist,
(meiner Meinung nach nur innerhalb ±2cm) treten weitere prinzipielle Schwierigkeiten auf, die bei der Ausbildung und dem Training von Bogenschützen
zu beachten sind
Ich habe für diese Betrachtung ein Kinegramm eines Schützen gewählt, der eben keine idealen Längenverhältnisse hat, um alle auftretenden
Kräfte und Momente darstellen zu können.
Aber prinzipiell werden auch nur wenige eine Körpergeometrie haben, um im Endzug ihren Zugunterarm in der gleichen senkrechten
Ebene wie die Linie Anschlagpunkt im Gesicht- Druckpunkt der Bogenhand zu haben.
Bild 1
Für jeden Gelenkpunkt wurden die an diesem Punkt angreifenden Kräfte eingetragen. Die Kräfte sind längs ihrer Wirkungslinie frei verschiebbar,
ihre "Richtung" kehrt sich am folgenden Gelenkpunkt um. Ein Druckstab (z.B. Zugoberarm) übt auf jeden seiner Endpunkte eine Druckkraft aus.
Weiter ist das vollständige Kräftevieleck dargestellt.
Grundsätzlich gilt:
ΣF=0 und
ΣM=0. Das ist die Grundlage jeder Kraft- und Momentenbetrachtung. Und selbstverständlich müssen die Kräfte und Momente den entsprechenden Stäben/Gelenken eindeutig
zugeordnet werden. Sonst sind diese Betrachtungen sinnlos.
1. Selbstverständlich können durch eine Veränderung des Anschlagpunktes parallel zur Schulterlinie nach hinten die auftretenden Momente und Kräfte verkleinert werden.
Für das zu diskutierende Beispiel (Bild 1) würde eine Veränderung des Anschlages im Gesicht um 5cm die Kraft F2 und das Drehmoment, das von der Oberarmmuskulatur aufgebracht werden muß um die Zughand am Anschlagpunkt zu halten, von 30% der Bogenzugkraft bei dieser Stellung und vom Drehmoment Md2 von 13Nm (wenn die Bogenzugkraft mit 100 festgelegt ist), die alleine die Zugoberarmmuskulatur aufzubringen hat auf F2=17% und Md2=7Nm verändert werden.
2. Würde dagegen der Bogenarmwinkel zwischen der Schulterlinie - Linie Bogenschulter/Druckpunkt Bogenhand von 10° auf 5,5° geändert,
was nicht geht, der Schütze sieht dann sein Visierkorn nicht mehr, dann steigt die Kraft F2 auf 45% und das Moment Md2 auf 18Nm.
Die anatomischen Verhältnisse lassen sich nicht ändern.
Weiterhin läßt sich der Abstand des Anschlagpunktes senkrecht von der Schulterlinie nicht ändern, sondern nur auf einer Parallele zur Schulterlinie nach vorne und hinten verschieben. Realistisch sind Verschiebungen um bis zu 4cm. Wandert der Anschlagpunkt noch weiter nach hinten, kann die Sehne nicht mehr als Visierhilfe benutzt werden, und das wird sehr negative Auswirkungen auf die Treffbilder haben.
Die Frage ist sowieso, weshalb mit aller Gewalt versucht werden soll, diese "Forderung" zu erfüllen, den Zugunterarm unbedingt in die senkrechte Ebene der Linie Anschlag-Bogenhanddruck zu bringen? Damit die Zughand so schön ideal am Hals langgleitet? Das hat keinen praktischen Nährwert, aus dieser Bewegung ist noch nicht mal auf die Qualität des Lösens zurückzuschließen. Die Begründung ist bereits im ersten Teil gegeben
Wenn ich mir überlege, wie häufig das sog Kraftdreieck von Trainern erwähnt wird, darauf hingewiesen wird, darauf gedrängt wird, im Endzug durch "Übergabe der Kräfte aus der Oberarmmuskulatur in die Rückenmuskulatur" bestimmte "Phasen" zu erfüllen, naja... Wenn bei den normalen Konstellationen, wie hier beispielhaft gezeigt, Kräfte in der Größenordnung von 20-30% der Endhaltekraft am Zugunterarm senkrecht zur Zugrichtung wirken müssen, um die Sehne am Anschlagpunkt zu halten, dann wirken diese Hinweise ziemlich seltsam.
Noch seltsamer wirkt es, wenn in You Tube Videos Comicpüppchen (The Wedge) vorführen sollen, dass dieser Keil "ideal" ist. Zwar sind da die Kräfte und
"Hört, Hört!" auch die Momente richtig dargestellt und erwähnt, nur ist die Schlußfolgerung falsch:
Sind Bogenarm und Schulterlinie auf einer Geraden, d.h. ist der Bogenarm im Bogenarmschultergelenk nicht mind. 10° abgewinkelt,
ist gezieltes Schießen mit dem Visierbogen nicht mehr möglich. Ganz davon abgesehen, dass auch in diesen Videos klar zu erkennen ist, dass so ein Schießen nicht möglich
ist, weil im Comic-Video sich die Sehne im letzten Drittel durch den Bogenarm bewegt.
Das sog. Kräftedreieck ist eine falsche Darstellung, und wird bei konsequenter Anwendung Schaden anrichten.
In Bogensport-extra wurde eine Fotostrecke von Lisa Unruh eingestellt. Sie ist sehr informativ und zeigt den Schießstil dieser Spitzenschützin sehr schön.
Zitat:
Die Fotos dokumentieren die Schießtechnik der Spitzenathletin aus Berlin.
Sportler und Trainer finden hier eine Orientierung zur Schießtechnik.
Die Schützin dreht den Zugellbogen beim Spannen nach innen. Das würde ich nicht als Orientierungshilfe für die Ausbildung und das Training von Schützen
empfehlen. Die Sehne bewegt sich sehr nahe am Unterarm vorbei, es gibt keinen Grund diese, Komplikationen verursachende Haltung zu kopieren. Soweit es möglich
ist, habe ich aus den Bildern ein Kinegramm generiert. Es ist mit Ungenauigkeiten behaftet, so ist nicht sichergestellt, ob die auswertbare Aufnahme direkt
senkrecht erfolgte. Es kann gesagt werden: Diese Schützin hat ideale anthropometrische Längenverhältnisse und kann deshalb ihren Zugunteram fast ideal in
die Kraftrichtung bringen. Sie wird keine bzw nur sehr kleine Drehmomente im Zugellbogen erzeugen.
Diese Verhältnisse sind vorgegeben und können durch keine Maßnahmen/Haltungsänderungen bei anderen Schützen, die
diese Voraussetzungen nicht erfüllen, erzwungen werden.
Hier das Kinegramm von Lisa Unruh:
Auch hier ist ein "Kraftdreieck" nicht zu erkennen.
In Bogensport-extra wurde eine Fotostrecke von Florian Kahllund eingestellt. Sie ist sehr informativ und zeigt den Schießstil dieses Spitzenschützen sehr schön:
Aber:
Auch hier nix mit dem sog. Kraftdreieck.
Hier das Kinegramm von Florian Kahllund, aus einem Bild der Fotostrecke generiert. Dieses Kinegramm wurde nicht gerechnet, sondern es wurden
einfach die Verhältnisse, die sich aus der Fotografie ergaben, umgesetzt. Für den Nachweis des nicht vorhandenen sog. Kraftdreieckes reicht es aber locker.
Die Randbemerkungen von mir weiter oben sind auch hier gültig.
Mir wurde eine sehr gute Aufnahme eines guten Schützen zugeschickt. Sie ist direkt von oben aufgenommen, der Standpunkt der Kamera muß quasi direkt über dem Kopf des Schützen gewesen sein. Diese Aufnahme habe ich ausgewertet.
Bild 1:
Das Kinegramm wird unter dem Foto nochmal maßstäblich richtig gezeigt und da sind die relevanten Kräfte eingetragen. So ist eine gute Vergleichbarkeit gegeben. Momente enstehen bei dieser Haltung um die Schultergelenke, im Zugellbogengelenk und im Zughandgelenk. Der Schütze hat eine fast ideale Haltung, die Abwinkelung des Handgelenkes ist seinen anthropometrischen Verhältnissen geschuldet und kann nicht verändert werden. Die Überstreckung des Bogenarmes halte ich für einen Schönheitsfehler, der nicht geändert werden muß, wenn der Schütze dort keine Probleme hat. Beide leichten Winkel (im Bogenellbogen und im Zughandgelenk) sind bei der Kraftdarstellung nicht berücksichtigt. Diese Kräfte sind auch sehr klein. Selbst bei dieser -fast- idealen Haltung, der Zugoberarm ist nämlich fast genau in der Kraftebene, und bei diesem Schützen bin ich sicher, das wird auch in der Waagerechten so sein, ist ein Kraftdreieck auch nicht andeutungsweise zu sehen. Das nächste Bild zeigt die auftretenden Kräfte.
Bild 2:
Der Schütze hat einen fast geschlossenen Stand. Würde er jetzt den Bogenarm in die Linie der Schultergelenke bringen, um das berüchtigte "Kraftdreieck" darzustellen, muß er einen "überdrehten" geschlossenen Stand oder einen "negativ" offenen Stand einnehmen. Die andere Möglichkeit, die Bogenarmschulterseite nach innen (zur Sehne hin) und die Zugarmschulterseite auch rechtsherum (von oben gesehen) zu drehen, dürfte sich von selbst verbieten.
Ich habe bis jetzt nicht ein einziges Mal eine stichhaltige Begründung auf der Basis von orthopädischer Biomechanik gefunden, die eine plausible Begründung für die Lehrmeinung "Kraftdreieck" bietet.
Mir wurden Kinegramme zur Verfügung gestellt, die von einem fachkundigen Ausbilder, Tilman Bremer fotografiert und zusammengestellt wurden. Das Urheberrecht am folgenden Bild liegt bei Tilman Bremer. Ich bedanke mich bei ihm herzlich, dieses informative Bild auf meiner Website veröffentlichen zu dürfen.
Das letzte, von Tilman mir überlassene Bild ist sehr wertvoll, denn es zeigt Schützen, die eben nicht ideale anthropometrische Verhältnisse haben. Ein Schütze, der in den oberen Rängen der Spitzenklasse mitschießt, wird immer annähernd ideale Abmessungen haben. Aber im Verein schießen sehr viele bei denen das eben nicht der Fall ist. Und auch diese schießen richtig gut und haben Anspruch darauf von ihren Trainern ihren Verhältnissen nach richtig ausgebildet und trainiert zu werden. Und ich denke, das macht dieser Ausbilder vorbildlich.
Zum Schluss stelle ich unter diesen Artikel meine Signatur, die ich sehr lange als "hödur" führte, und die immer noch zu meinen Lieblingssprüchen gehört:
"One of the greatest tragedies in life
is the murder of a beautiful theory
by a gang of brutal facts."
Benjamin Franklin
Das Urheberrecht an diesem Artikel liegt, wie alles auf meiner Website bei mir. Die Verwendung dieses Artikels zur Weiterbildung im Verein ist ohne Anfertigung von Kopien gestattet.