Die Tragödie von Erfurt

Auswirkungen auf den Schießsport- Versuch einer Analyse

Mit etwas mehr als einen Monat (Juni 2002) zeitlichem Abstand nach dem furchtbaren Geschehen in Erfurt werde ich versuchen, meine persönlichen Schlussfolgerungen bezogen auf den Schießsport darzulegen.

Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen der Opfer und denen des Täters.

Die Ursachenforschung ist in vollem Gange, bis in die letzte Konsequenz wird sich meiner Meinung nach das Handeln des Robert Steinhäuser nicht aufklären lassen.

Ein wichtiger Punkt wird mit Sicherheit die unverständliche Schulpolitik des Landes Thüringen sein, dass einem Schüler bei Versagen der Abiturprüfung noch nicht einmal den Hauptschulabschluss attestiert wird. Hier bin ich allerdings pessimistisch, ob der amtierende Unkulturminister von Thüringen und die hinter ihm stehende politische Richtung überhaupt erkennen wollen, welcher perfide Druck damit grundlos auf junge Menschen und auch auf die Lehrer ausgeübt wird.

Welche Auswirkungen hat der Schießsport zu erwarten? Um diese Frage wenigstens ansatzweise vernünftig beantworten zu können, ist ein Rückblick auf die letzten 20 Jahre (oder noch mehr) notwendig.

So war und ist im Deutschen Schützenbund (DSChüB) Sportschießen zum weitaus größten Teil Schießen mit Kleinkalibermunition (.22lfb) und Druckgaswaffen (4,5mm Diabolo) verbunden. Im Pistolenschiessen wird noch .32 Wadcutter in der Disziplin Sportpistole „Großkaliber“ verwendet. Tontaubenschiessen, Zimmerstutzen und Bogenschiessen sollen hier nicht betrachtet werden, diese Disziplinen spielen in der Gesamtmenge der Disziplinen des DSChüB keine große Rolle.

Vor mehr als 20 Jahren gründeten sich Schiesssportverbände, deren erklärtes Ziel es war, diese konventionellen „langweiligen“ Disziplinen durch vermeintlich „hochdynamische“ Schießarten zu ersetzen, die Spaß und Freud bringen sollten und nicht nur dieses langweilige Löcherstanzen in Pappscheiben. Bewegung war „in“, und natürlich Großkaliber. Es musste krachen, dass dem Nachbarschützen der Gehörschutz vom Kopf flog. Und für jede Schießart wurde eine Spezialwaffe benötigt. Diese Verbände, die ihre Daseinsberechtigung teilweise vor den Verwaltungsgerichten durchsetzten, zogen vom DSChüB Mitglieder ab, die meiner Meinung nach durchaus nicht nur andere Disziplinen schießen wollten, sondern auch auf diese Art Bedürfnisnachweise zum Erwerb von Schusswaffen, insbesondere Kurzwaffen sammelten. Dies war natürlich auch im Interesse von Waffenhändlern und der Waffenindustrie. Ein kurzer Hinweis: Eine Kleinkalibersportpistole hält (abgesehen von Kleinteilen) über 500.000 Schuss aus, eine 9mm Sportpistole ist aufgrund der hohen Belastung des Rohres, der Verriegelung und der Rücklaufteile nach spätestens 10.000 Schuss als Wettkampfwaffe nicht mehr zu gebrauchen.

Der DSchüB gründete, um diese Fluktuation zu bremsen, eigene Großkaliberdisziplinen wie Zentralfeuerpistole und –revolver.

Diese Entwicklung führte den Schießsport in eine gefährliche Richtung. Anzeichen dafür waren schon früh zu erkennen. So schrieb ich 1995 an die Waffenzeitschrift Visier in einem Leserbrief (der natürlich nie veröffentlicht wurde) dass die Überlegung angestellt werden muss, ob nicht verschiedene Amokläufe weniger blutig verlaufen wären, wenn die Täter nicht legal großkalibrige Waffen zur Verfügung gehabt hätten.

Schon früh tauchte der Verdacht auf, in den besagten Schießsportverbänden würden verbotene Combattechniken (Verteidigungsschiessen) geübt, was natürlich vehement bestritten, aber nie eindeutig widerlegt wurde. Einige Schießarten wurden von der entsprechenden Presse zur „Formel 1 des Schießsportes“ hochgejubelt. Fragen nach Sinn und der Verhältnismäßigkeit des sportlichen Inhalts zur latenten Gefahr, die in dieser Richtung lag, wurden rüde abgebürstet. Das Hauptargument war immer der riesige Spaßfaktor, der angeblich dem Großkaliberschießen inne war.

Als die Reform des Waffenrechtes anstand, wurden Koalitionen geschmiedet, das Forum Waffenrecht gebildet, das Lobbyarbeit für Industrie, Handel und Verbände machen sollte. Hier blickte Präsident Ambacher recht schnell durch, der DSChüB trat diesem Forum nicht bei. Und das war auch gut so. Die Ziele der Industrie, des Handels und der Schießsportverbände wie z.B. BDS, BDMP sind nämlich nicht mit den Zielen des DSChüB identisch, sie stehen sich teilweise diametral gegenüber.

Zum Beispiel kann der DSChüB kein Interesse an einer inflationären Ausbreitung von extrem teuren Disziplinen haben, die außerdem weder olympisch sind noch international eine Chance hätten. Weiterhin hat er kein Interesse, Waffen als Sportgeräte zuzulassen, deren Gefährdungspotential weitaus höher ist als notwendig für den sportlichen Inhalt. Eine fünfschüssige Kleinkalibersportpistole hat weder von der kinetischen Energie des Geschosses, noch von der Magazinkapazität das Gefährdungspotenzial wie eine 15-schüssige 9mm Gebrauchspistole. Dazu kommt noch die extreme Unhandlichkeit der Kleinkalibersportpistole, wenn es sich um ein wettkampftaugliches Modell (Walther, Hämmerli, Pardini u.a.) handelt. Drittens muss auf Grund der Konstruktion mit einer hohen Eigengefährdung (niedrige Abzugskräfte, teilweise keine Sicherung, keine Sicherheit gegen Stoß und Schlag) gerechnet werden, wenn jemand blödsinnigerweise auf die Idee kommt, eine Kleinkalibersportpistole zu führen.

Bei jenen besagten Schießsportverbänden, die grundsätzlich Gebrauchspistolen schießen, ja deren Sportdisziplinen teilweise eine Veränderung der Gebrauchswaffen bzw. die Benutzung reinrassige Sportwaffen verbieten, sieht die Sache anders aus, von Industrie und Handel ganz zu schweigen.

Bis Erfurt wurde immer wieder gebetsmühlenartig von Waffenlobbyisten gepredigt, dass vom braven, legalen Waffenbesitzer keine Gefahr ausgeht, und man bitteschön doch die Fragen des Waffenbesitzes für Sportschützen, Jägern und Waffensammlern möglichst liberal im Sinne der mündigen Staatsbürger und Waffenbesitzer regeln sollte.

Es gab genügend Vorfälle, die diesen Denkansatz in Frage stellten. Dies reichte von Unfällen, die nur so zu erklären waren, dass Waffen nicht ordnungsgemäß aufbewahrt wurden, sondern aus Schlamperei oder wegen des vermeintlich notwendigen Selbstschutzes geladen in der Wohnung herumlagen, über blutige Eifersuchtsdramen bis hin zu Amokläufen. Am 07.06.02 (nach Erfurt!!!) wird in der Frankfurter Rundschau wiederum so ein Fall berichtet.

Auf der anderen Seite wurde von Politikern, hier taten sich Teile der SPD und der Grünen negativ hervor, so unsachlich gegen legalen Waffenbesitz polemisiert, und eine extreme Verschärfung des Waffengesetzes gefordert, dass zwangsläufig eine Solidarisierung der verschiedenen Gruppen erfolgte. Die CDU wollte ihre vermeintliche Wählerklientel nicht vergrätzen, die einzige Partei die wohltuend sachlich argumentierte, war die PDS. Das aus Sicht eines Sportschützen eigentliche Problem, dass schon lange existierte, die Proliferation von Waffen durch Ausweitung von Sportdisziplinen (nebenbei bemerkt im Interesse von Industrie und Handel und von der einschlägigen Presse sehr wohl unterstützt), die einige Verbände bis zum Exzess trieben, wurde überhaupt nicht betrachtet.

Jetzt haben die Schießsportverbände, und hier schließe ich den DSChüB ein, einige unangenehme Fragen zu beantworten: