Wenn man die allgemein zugängliche Literatur durchforstet, wird man feststellen, daß praktisch jede Sportwaffe, jede Munitionssorte in Presseveröffentlichungen und Büchern behandelt wird. Über fast jede Kombination gibt es Testberichte und Erfahrungsberichte, die auf objektiven, firmenunabhängig durchgeführten Meßreihen über Geschoßgeschwindigkeit, Treffgenauigkeit, Zuverlässigkeit und Ergonomie beruhen. Dies ist bei Bogensportartikeln nicht der Fall. Hier gibt es nur Firmenangaben, Katalogbeschreibungen der Händler, mündliche Überlieferungen und unklare Definitionen, die sowohl bei der Beratung von erfahrenen Schützen als auch bei Anfängern wenig nützlich sind und sogar einer- vorsichtig ausgedrückt- "Mythenbildung" Vorschub leisten.
Die Innenballistik des Bogens
Die Hauptaufgabe der inneren Ballistik besteht darin,
einem Geschoß mit einer bestimmten Masse eine bestimmte Anfangsgeschwindigkeit
zu erteilen und gleichzeitig alle auftretenden physikalischen
Erscheinungen (z.B. Druck, Temperatur) während der Geschoßbewegung
bis zum Verlassen des Geschosses aus der Waffe zu klären (Kutterer,
Ballistik).
Auf den Bogen übertragen bedeutet dies die Beschreibung
Hier wird ein grob vereinfachtes eindimensionales Rechenmodell beschrieben, im Abschnitt Außenballistik wird der Vergleich mit realen Meßwerten durchgeführt. Vereinfachungen:
Dabei bedeutet
die durch das Bogenauszugsdiagramm dokumentierte gespeicherte
Energie in Nm.
(Beispiel Bild 1) Die Massen unter dem Bruchstrich werden
in [kg] eingesetzt.
Bild 1
Bei der Wurfarmmasse wird nur die dynamisch relevante Masse eines
Wurfarmes eingesetzt. Der andere Wurfarm ist bereits in dem Koeffizienten
berücksichtigt.
Die dynamisch relevante Masse wird ermittelt, in dem man neben
einer Waage einen gleichhohen Podest errichtet,
auf dem das Wurfarmende mit den Befestigungselementen ruht. Die Wurfarmspitze sollte auf der Waage dabei maximal im Winkel von 90° auf die Waage zeigen.
Ist der Winkel grösser, sollte der Podest mit den Aufnahmefittings abgesenkt werden. Die auf der Waage angezeigte Masse ist die dynamisch
relevante.
Vier Bogen wurden nach diesem Ansatz rechnerisch untersucht,
drei Damen- und ein Schützenbogen.
Folgende Tabelle zeigt die Zusammenfassung der Ergebnisse:
Tabelle
Schützin E
|
Schützin H
|
Schütze C
|
Schützin K
|
|
---|---|---|---|---|
Fabrikat Bogen/ Pfeil
|
Yamaha -Ex mit Karbon, Beman
|
Hoyt Gold Medalist
ACE |
Yamaha Glasfaser
-Ex Beman |
Greenhorn Glasfaser AC
|
Endhaltekraft [N]
|
127.5
|
132.7
|
174.2
|
129
|
Auszugslänge [m]
|
0.604
|
0.667
|
0.742
|
0.686
|
Pfeilmasse [kg]
|
0.0126
|
0.0176
|
0.02135
|
0.0176
|
virtuelle Masse [kg]
|
0.0179
|
0.0228
|
0.02427
|
0.0281
|
gespeicherte Energie [Nm]
|
30.20
|
35.44
|
53.16
|
34.98
|
Wirkungsgrad
|
0.71
|
0.77
|
0.76
|
0.73
|
Mechanischer Gütewert
|
0.61
|
0.58
|
0.57
|
0.59
|
Pfeilgeschwindigkeit [m/s]
|
58.0
|
55.7
|
61.5
|
53.7
|
Die virtuelle Masse ist eine gedachte Pfeilmasse, die auf die errechnete
Pfeilgeschwindigkeit beschleunigt werden könnte, wenn der Wirkungsgrad
gleich 1 wäre. Sie ist durch Wahl der Sehnen- und Pfeilmasse
beeinflußbar.
Der Wirkungsgrad gibt an, wieviel von der gespeicherten Energie
in die kinetische Energie des Pfeiles umgesetzt wird. Auch er
ist keine Konstante, sondern durch Pfeil- und Sehnenmasse variierbar.
Virtuelle Masse und Wirkungsgrad beschreiben im Grunde dasselbe,
nämlich das Verhältnis der kinetischen Energie des Pfeiles
zu der durch den Schützen eingebrachten potentiellen gespeicherten
Federenergie.
Der Gütewert beschreibt das Verhältnis zwischen der
tatsächlich gespeicherten Energie
und der maximal möglichen, wenn Fmax bereits von
Anfang an wirken würde und bis zum Endauszug konstant bliebe.
Ein Gütewert von 0.5 beschreibt einen mechanisch schlechten
Bogen, ein Wert von 1.0 den theoretisch besten.
Der mechanische Gütewert ist der einzige Wert, der nicht
direkt beeinflußbar ist, sondern in der Konstruktion des Bogens,
insbesondere der Wurfarme, begründet liegt. Er beschreibt objektiv
die subjektiven Empfindungen beim Ziehen eines Bogens ( Bogen "x" zieht
sich "weicher", Bogen "y" ist "schneller"), denn je besser der Gütewert
ist, umso kleiner kann die Endhaltekraft des Bogens und sein Kraftanstieg
, sprich "weicher", oder bei gleicher Endhaltekraft der Bogen "schneller"
sein.
Der in der englischen Literatur verwendete Begriff "Efficiency"
ist, jedenfalls in der im Buch "Archery Anatomy" gegebenen Definition,
die auch noch dimensionsbehaftet ist, Unsinn. Selbst wenn man die Einheiten
der Dampfmaschinenzeit (lbs und Zoll) verwendet, ist sie zur Beschreibung
eines Bogens nicht brauchbar.
Aus den obigen Überlegungen ist die Schlußfolgerung
zulässig, daß für die Beurteilung eines Bogens, der
immerhin einen Wert von weit über Euro 1000.- repräsentieren
kann, die alleinige Angabe der Endhaltekraft, die häufig auch noch
fehlerhaft ist, keinesfalls für eine technische Beurteilung
ausreicht, sondern zumindest das Auszugsdiagramm mitgeliefert werden sollte.
Dieses Diagramm kann sich auf die werksseitig eingestellte Tillerstellung
und auf eine genormte Auszugslänge beziehen. Nur dann ist es dem
Käufer möglich, sich vorher ein Bild über die technische
Qualität des Bogens zu machen. Bei bekanntem Auszugsdiagramm kann
zum Beispiel der Sehnenstand gezielt zur Feinabstimmung herangezogen werden
Das Diagramm (Bild2) und die Tabelle (Tabelle2) zeigen die Auswirkungen
bei einem bestimmten Bogen.
Bild 2
Tabelle 2
Sehnenstand
|
Geschwindigkeit [m/s]
|
Gütewert [1]
|
Endhaltekraft [N]
|
---|---|---|---|
- 10mm
|
65.9814
|
0.578476
|
187.089
|
- 5mm
|
66.0173
|
0.570905
|
188.003
|
Normal
|
66.0526
|
0.563529
|
188.902
|
+ 5mm
|
66.0874
|
0.556342
|
189.787
|
+ 10mm
|
66.1215
|
0.549336
|
190.656
|
Der Sehnenstand wurde um jeweils 5mm nach oben und unten variiert.
Die Kurven des Auszugsdiagramms decken sich fast, sodaß auf die
Flugbahn keine Auswirkungen zu erwarten sind. Wohl ändert sich aber
die Endhaltekraft in dem Maße, daß ein Einfluß auf
die Feinabstimmung erkennbar ist.
Rückschlüsse aus dieser Angabe auf andere Bögen
sind nicht zulässig. Weiterhin kann beurteilt werden, ob nicht
eine kürzere Bogenlänge vorteilhafter ist. Ein kürzerer
Bogen hat eine geringere dynamische Masse, und damit per se einen besseren
Wirkungsgrad. Das wirkt sich auf die Pfeilgeschwindigkeit wesentlich
günstiger aus als teure Karbonwurfarme (siehe oben). In der englischen
Literatur wurde diese Möglichkeit schon lange beschrieben und die
Einwände (Einklemmen der Finger -Fingerpinch, Steifwerden des Bogens-Stack
) behandelt und als das dargestellt was sie sind, Übertreibungen
aus Unkenntnis, Tradition und Wichtigtuerei.
Diese Aussagen sind übrigens unabhängig von der erreichbaren
Pfeilgeschwindigkeit, die ja in relativ weiten Grenzen durch
Pfeil- und Sehnenmasse beeinflußbar ist. Wieweit Rechnung und
Meßwerte übereinstimmen, wird im nächsten Artikel "
Außenballistik" untersucht.
Geändert (Fehler beseitigt) am 12.10.2022