Nach unten abkippbare Pfeilauflage beim Recurve

Einführung

Es werden Pfeilauflagen angeboten, die nicht nur nach innen, also zu Bogenfenster hin ausweichen können, sondern die sich nach unten-innen wegdrehen.

Diesen Pfeilauflagen wird vom Hersteller (beispielweise Gabriel) nachgesagt, dass sie besonders "schießfehlertolerant" sein sollen beispielsweise bei Fehlern in der Einstellung des Nockpunktes. Das soll sich inbesondere bei Blankbogenschützen, die Stringwalking anwenden, besonders positiv auswirken.

So schreibt ein user in einem Forum, wohl ein Trainer bei einem Berliner Bogenschützenverein:
Zitat:

"Das grundsätzliche Wegklappen eines Auflagefingers ist aber eh nur für den Notfall bei Lösefehlern oder schlecht abgestimmtem Material zu verstehen, eben, wenn der Pfeil an der Pfeilanlage bzw. dem Bogenfenster streift und dort Freiraum benötigt."

Dazu ist zu bemerken, dass keine Pfeilauflage auch nur den geringsten Einfluss hat, eine schlechte Abstimmung des Pfeil-Bogensystems auch nur um einen Jota zu verbessern. Schlechte Pfeilauflagen können andererseits aber sehr wohl dafür sorgen, dass sich Schießfehler nicht nur ein wenig, sondern katastrophal auswirken können. Dieser Effekt tritt bei diesen Konstruktionen auf und ich werde es nachweisen.

Weiterhin heißt es in seinem Post:
Zitat:

"Bei klassischen Klapppfeilauflagen ist ein zu tief sitzender Nockpunkt nur schwer auszumachen. Oft drückt der Pfeil in solchen Fällen entweder den Auflagefinger schräg nach vorn zum Bogen hin ran, und hängt dann beim Vorbeiflug am Bogenfenster unterhalb der Buttonhöhe, oder der Auflagefinger wird zunehmend mit zu hohem Druck belastet, federt entweder übermäßig nach, oder bricht irgendwann dann ab."

Auch hier gilt: Eine nicht passende Nockpunkthöhe wird durch keine Pfeilauflage kompensiert. Und bei einer nach schräg unten abklappenden Pfeilauflage wird die Auswirkung dieser fehlerhaften Abstimmung noch verstärkt.

Zur Untermauerung seine vorhergehenden Aussage folgt:
Zitat:

"...Ein Vermeintlich gut sitzender Rohschaft in Bezug auf die befiederte Gruppe täuscht hier oft eine vermeintlich richtige Nockpunkthöhe vor, dem aber eben so nicht ist.Die Bedingungen für gute Gruppierungen wären so erstmal nicht optimal. Bei der Gabriel-BiDrop ist mit HighSpeed wunderbar erkennbar,..."

Hier wird versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die Einstellung der richtigen Nockpunkthöhe nur mit sog. "High.Speed" Kameras möglich ist und dann auch die Vorteile der unten wegklappbaren Pfeilauflage zu sehen sind. Das ist nicht richtig. Wird die Nockpunkthöhe auf 18m sorgfältig ausgeschossen (per Treffbild mit mehreren ungefiederten Schäften), dann stimmt sie auch, unabhängig welche Pfeilauflage benutzt wird. Natürlich gilt diese Aussage nur im Zusammenhang mit der während des Tunings benutzten Auflage. Die Nockpunkthöhe ist problemlos auf ±0,5mm genau einzustellen. Wer es genauer machen möchte, möge einen Meßtisch in einem klimatisierten Labor benutzen... Gabriel hat wohl diese Pfeilauflage auf den Markt gebracht, um Stringwalkern eine (Pseudo)hilfe zu geben, ihre zwangsläufig unmöglich schlechten Abstimmungen hinsichtlich der Nockpunkthöhe einigermaßen in den Griff zu kriegen.

Die Scheinbegründung ist wohl so: Wenn die Nockpunkthöhe nicht stimmt, ist es nicht schlimm, die Pfeilauflage klappt ja nach unten weg, und gut ist. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Grundlagen

Zur Untersuchung der Wirkung einer "nach-unten-Klappauflage" habe ich eine Skizze in Drauf- und Vorderansicht erstellt. Sie ist ungefähr maßstabsgerecht, entspricht aber keiner tatsächlich existierenden Pfeilauflage, allerdings sind die Bedingungen so gewählt, dass die tatsächlichen Konstruktionen die geschilderten Nachteile eher verschärfen. Weiter wurde ein kurzer (rot) und ein langer (gelb) Auflagefinger untersucht. Vom Lager des langen Auflagefingers ist nur die Mittellinie dargestellt. Der Button ist nicht dargestellt.

Der Winkel α zeigt die Schräglage der Drehachse. Ist α=90°, wird es eine normale Auflage, der Auflagefinger bewegt sich senkrecht zur Bogenfensterfläche hin. Wird α= 180° dreht sich die Pfeilauflage nur nach unten weg.

Die Punkte 1-3 bezeichnen für beide Auflagefinger den Ort der Auflagefingerspitze bei Beginn, ca in der Mitte des Abklappens und am Ende, wenn der Finger am Bogenfenster anliegt und zwar für die skizzierte Schräglage der Drehachse.

Für den mittleren Teil habe ich die Lage des Pfeiles unter den beschriebenen Bedingungen eingezeichnet, wenn er noch nicht beschleunigt wird. Die sich ergebende Schräglage des Pfeiles ist maßstäblich.

Auftretende Kräfte und Momente

Als Last FA wird 12cN (das entspricht einer Gewichtskraft von 12g) angenommen. Diese Kraft wird alleine durch die Pfeilmasse (angenommen 0,024kg) erzeugt und beinhaltet nicht irgendwelche Kräfte, die durch Haltefehler mit der Zughand möglicherweise zusätzlich auf den Pfeil ausgeübt werden.

Von der Kraft "FA" wird über den Hebelarm "a" durch die Schrägstellung der Drehachse um den Winkel α ein Moment ausgeübt, das durch die Magnetkraft "Fmagn." und den dazugehörigen Hebelarm "b" im Gleichgewicht gehalten wird. Dieses Moment tritt bei einer senkrechten Drehachse (α=90°) nicht auf, bzw besser gesagt wird durch die auftretenden Lagerkräfte in der senkrechten Achse immer aufgefangen.

Abschätzungen

Man kann über die Hebelarme die benötigte Magnetkraft abschätzen. Sie wird um den Faktor 5-10 höher sein müssen als die ürsprüngliche Belastung durch FA, also in den Bereich von ca 1N hineinkommen. Wenn man sich weiterhin vor Augen hält, dass die Magnetkraft quadratisch zum Abstand zwischen den Magneten abnimmt, dann wird klar, dass die Konstruktion sehr instabil ist

Diskussion

Um sich darüber klarzuwerden, was bei dieser Konstruktion passieren kann, und zwar so, wie es bei einer senkrechten Achse (α=90°) nicht passieren kann, muss man folgende Punkte im Auge behalten:

  1. Es gibt ein Moment bei einer senkrecht auf die Pfeilauflage wirkenden Kraft durch die Gewichtskraft des Pfeiles- das bereits bei fehlerlosem Spannen auftritt und das die Pfeilauflage nach innen, also zum Bogenfenster hin drückt: FA*a
  2. Dieses Moment wird nur durch die Magnetkraft im Gleichgewicht gehalten: Fmagn.*b
  3. Die Magnetkraft ist extrem abhängig vom Abstand der beiden Magnete. Wird dieser Abstand vergrößert, sinkt sofort die Magnetkraft rapide ab.
  4. Zwischen dem "Klick" und dem Beginn der Beschleunigungsphase des Pfeiles liegt mindestens eine Zeitspanne von 0,1s. Das ist gegenüber der Schußzeit (ca 13-15ms) eine Größenordnung. Was in diesen beiden Zeitspannen passiert, entzieht sich vollständig der Beobachtung und dem bewußten Handeln des Schützen.

Wenn man diese Punkte genau überlegt, ist folgender Ablauf denkbar und wahrscheinlich:
Die Zughand übt über die Finger einen leichten Druck auf den Pfeil aus. Zum Beginn des Lösens (der Pfeil wird noch nicht beschleunigt, die Finger sind durch das Handeln des Unbewußten noch nicht geöffnet, also innerhalb der unbeobachtbaren 0,1 Sekunden) wird dieser Druck etwas verstärkt und reicht aus, die Pfeilauflage nach unten ausweichen zu lassen. Der Pfeil wird den Bogen stark abweichend vom ursprünglichen Abgangswinkel verlassen.

Das bedeutet, dass diese Konstruktion eine schwerwiegende Unsicherheit in den Schußablauf bringt. Dazu gehört auch die Statistik.
Auftretende Fehler sollten seltene Ereignisse sein. In dem Fall kann der Fehler stärker oder schwächer sein, er wird bei Hochleistungsschützen weniger häufig auftreten als bei Mittelklasseschützen, aber die Fehlersuche wird in dem Fall extrem schwierig werden.

Ich zitiere aus dem Post des besagten Users:
Zitat:

Bis auf einen Schützen kamen damit alle wunderbar klar. Problem des einen Schützen war, dass sein sehr schwerer Pfeil bei seinem sehr weit ausgeschnittenem Bogenfenster übermäßig Druck auf den Auflagefinger ausübte, diesem Moment hielt der Magnet zwar gerade so stand, teils beim Einlegen des Pfeils aber auch nicht. Sein Bogenfendster ist sogar so weit ausgeschnitten, dass wir den Gabriel-Finger etwas aufbiegen mussten, was bei sämtlichen anderen Bögen nicht notwenidig war.

Er spricht genau das an, was ich hier analysiert habe, nur werden daraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen und das Versagen der Pfeilauflage wird der Ungeduld, anders gesagt, dem Unvermögen des Schützen angelastet:
  1. In diesem Fall war bereits FA, erzeugt ganz trivial durch die Gewichtskraft des Pfeiles, die auf der Pfeilauflage lastete, zu hoch
  2. Zusätzlich war der Hebelarm "a" durch das stark ausgeschnittene Bogenfenster groß. Damit reichte das durch die Gewichtskraft erzeugte Moment aus, die Pfeilauflage unkontrolliert wegklappen zu lassen.

Schlussfolgerung

Pfeilauflagen mit schrägliegenden Drehachsen werden nicht schießfehlertolerant sein, im Gegenteil, sie werden die Auswirkung von Schießfehlern sogar verstärken.

Das gilt natürlich und in verstärktem Maße auch für einen fehlerhaft sitzenden Nockpunkt bzw schlechte Abstimmung des Systems Pfeil-Bogen.

Die Kombination von nach unten wegklappende Pfeilauflagen, Schießfehlern und ungenügender Abstimmung wird zu katastrophalen Auswirkungen auf die Trefferlage führen. Beispielsweise würde der Pfeil, der in der mittleren Lage der Skizze geschossen wird, auf 50m Schußentfernung 80cm tiefer als der ursprüngliche Treffpunkt liegen. Von der in der gleichen Größenordnung liegenden Seitenabweichung ganz abgesehen.

Im großen Ganzen sind Wettkampfschützen ja nüchtern-vernünftiger als man glaubt. So konnte ich bei einer Landesmeisterschaft (50 Scheiben) 2015 nach unten wegklappende Gabrielpfeilauflagen nicht finden, aber rund 40% der Teilnehmer hatten die Shibuya Auflage, die aus technischer Sicht sehr zu empfehlen ist.

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