Tiller, Center/Centeroff-Stellung des Pfeiles im Bogen

Magazin "Faszination Bogen" Artikel "Grundeinstellungen beim Recurvebogen" von Günter Kuhr, 15. Sep 2016

In keiner Schießsportdisziplin hat der Schütze soviel Möglichkeiten in die Innen- und Außenballistik einzugreifen wie beim Bogensport. Deshalb sind gerade hier die physikalisch-technischen Erklärungen sehr wichtig. Das Wiederholen längst widerlegter Behauptungen hilft niemandem weiter.

Einstellung des Tillers und der Pfeilanlage
Statischen Tiller einstellen:
Die Schilderung des Einstellens ist im Großen und Ganzen richtig.
Was fehlt ist die Erklärung, weshalb der Tiller eingestellt werden muß:
1. Der Druckpunkt über die Bogenhand kann nicht symmetrisch zu den Wurfarmspitzen liegen, da der Pfeil ja nicht exakt durch die Hand geschossen werden kann, es muß also immer ein Abstand zwischen Druckpunkt und Pfeilauflage da sein.
2. Die Wurfarme arbeiten als Biegefedern. Es gibt auf der ganzen Welt nicht zwei absolut gleiche Biegefedern.
Durch die Tillerung erfolgt eine Synchronisation der beiden Federn, damit der Pfeil von den beiden Vektoren (einer in Richtung der Sehne nach unten einer nach oben) der Sehne gradlinieg aus dem Bogen beschleunigt wird. Und wie klappt das bei einteiligen Bogen? Ganz einfach, über die Nockpunkthöhe. Das Ausschießen der Nockpunkthöhe ist prinzipiell genau das Gleiche, man kann aber über diese Größe (Nockpunkthöhe) feiner arbeiten.
Der Tiller soll und muß festgestellt und dokumentiert werden, um bei der Verstellung der Wurfarme auf niedrigerere oder höhere Endhaltekräfte die ursprüngliche Synchronisation beizubehalten und sich weitere Basteleien an der Nockpunkthöhe zu ersparen.

Richtig ist seine Bemerkung über die Ungenauigkeit der mechanischen Kraft-Auszugswaagen. Diese sind zur Einstellung des Bogens und zur Abstimmung unbrauchbar. Elektronische Zugwaagen sollten mit exakten Gewichten kalibriert werden.

Einstellung des Pfeilversatzes:
Da ist im ersten Satz ein Schreibfehler, es muß heißen :"Der Pfeilversatz bezeichnet die horizontale Ausrichtung des Pfeiles im Bogenfenster." Was aber wirklich schwerwiegend ist, Zitat:
"Bei Rechtshandschützen sollte der Pfeil im Zentrum .... ausgerichtet sein.
Diese Empfehlung zeigt ein schwerwiegendes Mißverständnis über die Innenballistik auf:
Beim Recurvebogen ist die Primärdurchbiegung des Pfeil unmittelbar nach dem Lösen die wichtigste Größe, die verantwortlich dafür ist, dass der Pfeil sauber aus dem Bogen kommt. Diese Größe und die dazugehörige, nachfolgende Biegeschwingung des Pfeiles ist berechenbar -Hickman, Klopsteg, Kooi, Park- und Nentwig -für die Praxis und für die gute Abstimmung und Optimierung ausreichend. Was aber niemand rechnen kann, ist die Richtung, in die sich der Pfeil primär durchbiegt und so der Grundschwingung die Schwingungsebene während der Schusszeit vorgibt. Diese Richtung wird nicht durch das Lösen vorgegeben. Die hohen Kräfte werfen beim Lösen die Finger locker zur Seite. Diese Richtung wird durch die Schräglage des Pfeiles im Bogen vorgegeben. Das bedeutet wiederum, dass eine "absolute" Centerstellung böse Überraschungen bringen kann, und zwar statistisch verteilt, ohne Möglichkeit, einen Grund für Fehlschüsse zu finden. Will man den Pfeilversatz vernünftig einstellen und beurteilen, muß vorher der "Centerschnitt" des Bogens bekannt sein. Der Centerschnitt gibt an, wie weit das Bogenfenster über die Mittellinie des Bogens ausgeschnitten ist. Früher war das so, dass dieser Wert ganz selbstverständlich in der firmenseitigen Beschreibung des Mittelteiles enthalten war. Heute muß man sich den Wert relativ kompliziert herausmessen. Das wäre zum Beispiel die Aufgabe eines sachkundigen Bogenhändlers. Liegt er nicht vor, ist er durch sorgfältige Messung einmal zu ermitteln. Dann kann sehr zuverlässig der Pfeilversatz durch Messung eingestellt werden, ohne in die Gefahr zu geraten, exakt die Centerstellung zu erwischen. Die angebotenen "Lehren" und das "Peilen" über den aufgespannten Bogen mit Pfeil sind Kindereien, gerade zu gebrauchen, die Erstausrüstung eines Schützen (Mietbogen) zu überprüfen.

Tja... Der Autor liefert nur Allgemeinplätze ab und keine gute Beschreibung, von wirklich guten Informationen ganz abgesehen. Im Gegenteil, diese wichtige technische Forderung (Schräglage des Pfeiles im Bogen) wird ohne Grund (wahrscheinlich hat irgendein Spitzenschütze/Spitzentrainer diese Aussage in die Weltgesetzt, natürlich ohne irgendeine nachprüfbare Begründung zu liefern) negiert.
Um technische Gegebenheiten zu beschreiben, muß man aber erst mal selber wissen und begriffen haben, wie das funktioniert, was man beschreiben will.

Bewertung:
In diesem wichtigen Bereich hat das erste Exemplar, das ich in Händen hielt für mich einen schlechten Eindruck hinterlassen.

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