Einfluss der Bogenlänge

Analytische Untersuchung des Einflusses der Bogenlänge auf Außenballistik und Zugfingerbelastung

Die Auswahl der Bogenlänge erfolgt meistens anhand von Tabellen, die in verschiedenen Fachbüchern veröffentlicht sind. Fragt man nach dem Hintergrund, so erhält man die Antwort, dass bei kürzerem Bogen die Finger der Zughand eingeklemmt werden. Bei zu langem Bogen ist es klar, dass dann die Wurfleistung des Bogens abfällt. Im Grunde ist es eine einfache geometrische Untersuchung, die diese Frage klärt. Das Problem ist nur, dass transzendente Gleichungen mit erheblichem Aufwand numerisch innerhalb eines bestimmten Geltungsbereiches gelöst werden müssen. Zuerst sollte untersucht werden, welchen Einfluss die Bogenlänge überhaupt hat. Je länger ein Bogen ist, um so
  1. kleiner wird die Anfangsgeschwindigkeit des Pfeiles, da der Wurfarm als solcher schwerer wird
  2. um so instabiler ist vermutlich der Wurfarm beim Abschuss, er wird mehr zu Drehschwingungen tendieren als ein kurzer
  3. um so komfortabler wird er sich schießen, da die Finger der Zughand geringer eingeklemmt werden als bei einem kurzen Bogen.

Die erste und dritte Behauptung soll hier untersucht werden, die zweite ist eine plausible Vermutung. Welchen Einfluss hat die Wurfarmmasse überhaupt auf die Ballistik? Ich habe vier Wurfarmlängen, deren dynamische Wurfarmmassen bekannt sind (selbstverständlich können sie nach oben oder unten abweichen, je nach Qualität)auf ihren Einfluss auf die Treffpunktlage auf 90m untersucht. Selbstverständlich blieben alle anderen Größen, wie Auszugsdiagramm, Sehnenmasse und Pfeilmasse konstant. Die Sehnenmasse nimmt mit der Wurfarmlänge zu, die Untersuchung dieses Einflusses habe ich mir gespart, er würde tendenziell die Aussage, mit größerer Bogenlänge, somit größerer dynamischer Wurfarmmasse verringert sich die Pfeilgeschwindigkeit, unterstützen, denn mit der Bogenlänge wächst auch die Sehnenmasse. Hier der Einfluss der Wurfarmmasse auf die Visierstellung von 90m:

Bogenlänge (Zoll) Dynamische Wurfarmmasse (kg) Geschwindigkeit (m/s) Visieränderung 90m (mm) Ablage (m)
64 0,0593 68 3 0,3
66 0,0694 67,1 0 0
68 0,074 66,7 -1,5 -0,15
70 0,081 66,1 -4 -0,37

Es ist gut zu sehen, dass sehr wohl die Wurfarmlänge einen bedeutenden Einfluss auf die Ballistik hat. Zwischen dem leichtesten Wurfarm (64") und dem schwersten ist immerhin eine Höhendifferenz von 7mm, das entspricht einer Ablagendifferenz auf der Scheibe von ca 0,6m zu finden.

Wie sieht es jetzt mit dem Einwand der eingeklemmten Finger beim kurzen Bogen aus? Im Weiteren wird die Kraft, die die Finger senkrecht zum Pfeil drückt, mit "Pinch" bezeichnet.

Hierzu eine Skizze, die die Verhältnisse verdeutlicht:

Bild 1, prinzipielle Darstellung

Daraus ergibt sich folgende Beziehung: Der Winkel Alpha, der verantwortlich für das Einklemmen der Finger ist, lässt sich wie folgt errechnen.

Bild 2, Formel für den Winkel

Dieser Winkel ist aber nur ein Anhalt für die Kraft, die die Finger zusammendrückt. Die Kraft läßt sich als Verhältniszahl zur Haltekraft darstellen, die hier zu 1 angenommen wird.

Bild 3, Formel für den "Pinch"

Hier noch zum Verständnis die Vektordarstellungen der Kraft. Die Kräfte, auf die einzelnen Finger sind zur Vereinfachung zu einer Kraft zusammmengefasst.

Bild 4,
Darstellung der Pinchkraft
im Verhältnis zur Auszugskraft
Bild 5,
Darstellung der Auszugskraft
und des Sehnenzugs

Oben aufgeführte Annahmen wurden mit Mathematica verabeitet, um einem möglichst anschauliche Darstellung zu erreichen.Die erste Darstellung zeigt die Winkeländerung in Abhängigkeit der Pfeillänge. Dabei sind als Sehnenstand 0,2 m und als Klickerabstand 0,04m festgehalten. Selbstverständlich lassen sich auch diese Einflüsse herausarbeiten.

Sehnenwinkel abhängig von der Pfeil- und Bogenlänge
Bild 6 Sehnenwinkel abhängig von der Pfeil- und Bogenlänge

Dieses Diagramm zeigt den Sehnenwinkel im Bereich von Bogenlängen 1,61m (64") bis 1,78m (70") und Pfeillängen 0,66m (26") bis 0,81m (31").Deutlich ist sichtbar, dass der Sehnenwinkel im Wesentlichen nur durch den Auszug zu beeinflussen ist. Die Bogenlänge geht nur schwach ein. Extrembetrachtungen sind hier sinnlos, da nur der diskutierte Bereich der aktuellen Größen dagestellt ist.

Das zweite Diagramm zeigt die wichtigerere Größe, den Pinch als Verhältnis zur Auszugskraft.
Pinchkraft in Abhängigkeit von der Pfeil- und Bogenlänge
Bild 7 Pinchkraft in Abhängigkeit von der Pfeil- und Bogenlänge

Hier ist noch deutlicher zu sehen, wie wenig Einfluss auf die Pinchkraft über die Wahl der Bogenlänge ausgeübt wird. Die diagonale Gerade hat keine Bedeutung, sie soll nur illustrieren, dass die dargestellte gekrümmte Fläche mitnichten eine Ebene ist.

Es konnte gezeigt werden, dass der Einwand, bei einem kurzen Bogen treten Nachteile durch Fingereinklemmen auf, nicht stichhaltig ist. Die Vorteile eines kürzeren Bogens, die höhere Pfeilgeschwindigkeit (nachgewiesen) und die bessere Präzision auf Grund geringerer Drehschwingungen (plausibel) wiegen den etwas kleineren Sehnenwinkel weit auf.

Die Auswahl eines kurzen Bogens muss allerdings durch eine genaue Spezifizierung der Enhaltekraft bei gegebenem Auszug streng unterstützt werden. Gerade das nehmen, was der Händler auf Lager hat, wird dann mit Sicherheit der falsche Weg sein. Dem Händler muss die Bogenlänge und die Endhaltekraft bei gegebenem Auszug strikt vorgeschrieben werden.

Literaturrecherche

Im Internet wurde eine Literaturrecherche zu diesem Thema veröffentlicht. Sie erfolgte in einem geschlossenem Forum und kann deshalb nicht direkt verlinkt werden, damit sie allgemein sichtbar wird.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass solche Arbeiten sehr aufwendig und zeitintensiv sind. Ich veröffentliche diese Arbeit hier mit kleinen Änderungen, die auf keinen Fall den Inhalt betreffen. Die Startfrage war
"Was ist "überlang"? Wo beginnt dies? Wie leitet sich diese Definition her? Gibt es eine technische Begründung dafür?"
Sie bezieht sich auf eine vorhergehende Diskussion über die Länge der Wurfarme.

Hier der Text:

Die Sache mit der "Spezifikation" hat mir (dem Autor) keine Ruhe gelassen und ich habe mich auf die Suche in der Fachliteratur gemacht. Ich habe ein paar aktuelle oder immer noch lesbare Werke herangezogen und bezüglich der Auswahlregeln für die Bogenlängen ausgewertet.

"Archery", USA Archery, 2013, USA Mel Nichols: S. 12:
"… check your draw length [übliche Empfehlungen]. Some archers might get a little more finger pinch with the string from different draw lengths. The best bow length for you is a bow that feels good to you and has the least amount of finger pinch."
Meines Erachtens widerspricht sich der Autor hier im letzten Satz, denn eine konsequente Verkleinerung des "pinch" bedeutet einen Bogen, der so lang ist wie möglich. Da dies offensichtlich eine unmögliche Anforderung ist, muss man hier auf einen Kompromiss hinarbeiten, der nicht näher erläutert wird. Auch wird keine Herleitung des "pinch" oder gar eine Größenordnung angegeben.
Fazit: keine harten Anforderungen an die Bogenlänge.

"Mit System ins Gold", Bachmann/Ulrich, 1997, Deutschland
Kapitel 4.5.3 Bogenlänge in Abhängigkeit vom Auszug, übliche Daten (Tabelle 4.5.3 A).
Weiter geht's im Kapitel 4.5.4, mit den Tabellen 4.5.4 A und B, in denen zusätzlich Kombinationen in Abhängigkeit der Disziplin (FITA / Feld) angegeben werden.
"Oft werden im Feld- und Jagdschießen generell etwas kürzere, schnellere Bogen eingesetzt, um die notwendige flache Flugbahn zu erreichen."
Ob diese flache Flugbahn notwendig ist, kann man diskutieren. Man kann hieraus aber ableiten, dass man mit einem kurzen Bogen und geringeren Zuggewicht zu einem gleich schnellen Pfeil kommen kann wie mit langen Wurfarmen. Wichtig hier ist aber der Hinweis, dass auch kürzere Systeme möglich sind, auch wenn das aus den Tabellen nicht herauskommt.
"Das Optimale in Hinblick auf Gesamtlänge […] muss der Schütze aber selbst herausfinden. Die aufgelisteten Tabellen bieten eine Hilfe, den großen Kreis der Varianten einzuengen." Eine Hilfe, keine absoluten Vorgaben.
Fazit: keine harten Anforderungen an die Bogenlänge.

"Bogenschießen", spitta, Haidn/Weineck/Haidn-Tschalova, 2010, Deutschland
Seite 654 ff:
"Der Bogen muss auf die anatomischen […] und technischen […] Voraussetzungen des Schützen abgestimmt sein. Von besonderer Bedeutung ist die Auszugslänge des Schützen"
Tabelle 155
"Richtwerte hinsichtlich der Auswahl der Bogenlänge"
liefert hierzu die bekannten Daten. Richtwerte, wohlgemerkt.
"Ein langer Auszug (über 730 mm) benötigt einen langen Bogen, weil ansonsten der Winkel der Sehne im Anker zu spitz wird, was zu einem Einklemmen der Pfeilnocke führen kann".
Die Autoren geben hierzu keine (Winkel-)Daten an, auch ist nicht dargestellt, warum man diese Probleme erst ab 730 mm Auszug bekommt.
Interessant hierzu:
"Zu berücksichtigen ist ferner, dass ein längerer Bogen eine geringere Anfangsgeschwindigkeit des Pfeils erzeugt (der Wurfarm wird schwerer […]) und beim Abschuss instabiler ist, weil er mehr zu Drehschwingungen tendiert."
Wird ein kurzer Bogen damit stabiler? Das Thema wird leider nicht vertieft.
"Hingegen hat ein kürzerer Bogen eine geringere dynamische Masse und damit einen besseren Wirkungsgrad."
Genau so ist es.

Danach wird noch einmal aus Bachmann/Ulrich zitiert:
"Beachten Sie: Im Jagd- und Feldschießen werden meist kürzere, schnellere Bögen eingesetzt […]."
Auch werden die o.g. Tabellen 4.5.4 A und B aus Bachmann/Ulrich wiedergegeben. Insofern gibt's hier nix Neues unter der Sonne.
Aber auch hier wird nicht kategorisch von kürzeren Systemen abgeraten, es werden sogar Argumente für einen kurzen Bogen geliefert.
Fazit: keine harten Anforderungen an die Bogenlänge. **** hat zudem die Hoyt-Empfehlungen aus 2003 verlinkt, die auch nur unklare Empfehlungen geben - und das aus dem Land unbegrenzten Schadensersatzklagen. Für mich ist das ein Hinweis, dass die WA einiges abkönnen, denn wenn ansonsten alles geregelt werden muss (Stichworte: Mikrowelle, Kaffee, etc.), wundert mich doch sehr, dass es hier keine klaren Vorgaben / Restriktionen gibt.
Aus der aktuellen Fachliteratur nehme ich daher mit, dass es keine harten "Spezifikationen" zur Auswahl der Bogenlänge gibt. Alles wird als "Empfehlung" oder "Richtwert" angegeben, es gibt kein "das darfst Du nicht machen". Ganz im Gegenteil, es wird sogar ermuntert, das Material auszuwählen, mit dem der Schütze zurechtkommt.
Von daher sehe ich hier kein "drauf bestehen".
Wenn hier jemand besteht,
dann doch eher die "das haben wir schon immer so gemacht"-Fraktion.
Ich versuche nur, auch mal den Blick schweifen zu lassen.

Es werfen sich halt immer wieder die gleichen Fragen auf:

  1. Woher stammen diese alten Empfehlungen?
  2. Wie begründen sich diese (sofern erforderlich, mit Daten unterfüttert)?
  3. Gibt es irgendwelche Unterlagen, die dies belastbar herleiten und nicht in der gängigen Literatur abgebildet sind?

Ich will's halt nur wissen… ein Zitat, ein Link zu einer soliden Quelle, gibt's da denn gar nix?

  1. Wie ist mit den 27"-Mittelteilen umzugehen, die in den doch recht alten Tabellen nicht erfasst sind?
  2. Wann nimmt man beispielsweise 23/long und wann 27/short (gibt in beiden Fällen einen 68er Bogen)?
  3. Welche Auswahlregeln gelten hier? Wie sind sie zu begründen?

18.Sep.2018 Aktualisierung

Die Längenangaben, die sich überall finden lassen basieren mit hoher Sicherheit auf dem Buch "Die Technik des Bogenschießens im Wettkampf" von Jacques Cadet. Es war praktisch das "Lehrbuch" des Deutschen Schützenbundes und viele falsche und/oder inzwischen schon lange überholte Dinge, die bis heute gedankenlos weitergetragen werden, stammen aus dem Buch. Hier die Tabelle von Cadet, Seite 20.

Die Auswahl"begründungen" von Cadet (Fingereinklemmen, und dass ein langer Bogen präziser wirft) sind falsch. Im übrigen bezieht sich Cadet nur auf einteilige Bogen.